Online-Tagung der GRÜNE LIGA zeigt Kontroversen der Debatte um Gipsabbau auf
Die GRÜNE LIGA veranstaltete am 27.11.2020 online und in Berlin eine bundesweite Tagung zu "Bedarf an Naturgips in Deutschland". Auf der Tagung kamen über 60 Expert*innen und Interessierte zusammen um über das konfliktträchtige Thema zu diskutieren. Aufgrund des Ausstiegs aus der Kohle wird schrittweise der REA-Gips wegfallen, der bislang als Nebenprodukt bei der Rauchgasentschwefelung der Kohlekraftwerke entsteht. Die Gipsförderindustrie will daher verstärkt Naturgips in sensiblen Landschaften - vor allem im Südharz - abbauen. Die Veranstaltung wurde gefördert vom Umweltbundesamt und vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.
In diesem Artikel finden Sie die Vorträge der Referent*innen.
Der Bundesvorsitzende der GRÜNEN LIGA René Schuster wies in seiner Eingangsrede darauf hin, dass der Satz im Endbericht der Kohlekommission zum weiteren Abbau von Naturgips im Rahmen des Kohleausstiegs nicht innerhalb des Gremiums diskutiert wurde. Schuster, der selbst als fachlicher Berater („Sherpa“) in der Kommission saß, wies auf fehlende fachliche Auseinandersetzung während der halbjährigen Arbeit am Kohleausstieg hin. Die Kohlekommission habe sich nicht mit dem Bedarf an Gips beschäftigt. Der Kommissionsbericht übernahm diese Aussage aus einem Papier der Gipsindustrie, ohne dass jemals darüber diskutiert wurde. Den transparenten Diskussionsprozess, den es in der Kohlekommission nicht gegeben hat, brauche man aber trotzdem in Deutschland. Daher hat die Grüne Liga es sich zur Aufgabe gemacht die Debatte zu führen und wird dabei dankenswerter Weise vom Umweltbundesamt unterstützt.
Das Bundesumweltministerium unterstützt das Gips-Recycling. Der Referatsleiter für "Nationale und grundsätzliche Angelegenheiten der Ressourceneffizienz" im Bundesumweltministerium Dr. Harald Bajorat habe auch keine fertigen Lösungen aber die Tagung sei ein guter Beitrag zur Debatte und stelle die richtigen Fragen. Bajorat wies darauf hin, dass über die Umweltministerkonferenz der Länder der Auftrag gekommen sei, sich das Thema Gips-Recycling näher anzuschauen. Dabei denke man zudem auch über ein mögliches Deponieverbot nach.
Vortrag von Hauke Hermann, Öko-Institut e.V., "Die deutsche Braunkohlewirtschaft: Historische Entwicklung und das Kohleausstiegsgesetz"
Hauke Herrmann vom Öko-Institut erklärte, dass es den Gips als Abfallprodukt der Kohleindustrie („REA-Gips“) erst seit Anfang der 1980er Jahre gebe. Grund dafür war der Einbau von Filtern im Rahmen der Regulierung für Schwefeldioxid. In der damaligen BRD begann es mit der Großfeuerungsanlagenverordnung vom 1. Juli 1983. Der Osten Deutschland mit seinen Kohlekraftwerken in Mitteldeutschland und Lausitz wurden bis 1996 nachgerüstet. Im Jahr 2018 gab es 6,2 Mio. Tonnen REA Gips, davon stammten etwa 83% aus Braunkohle-Kraftwerken. Herrmann erläuterte, dass sich der Markt für Gipsprodukte in Deutschland dadurch deutlich vergrößert habe. Falle der kostenlos REA-Gips jetzt schrittweise wieder weg, sei schon aus wirtschaftlichen Gründen kein 1 zu 1-Ersatz mit teurerem Naturgips notwendig. Aktuell liegen beispielsweise im Gipsdepot Jänschwalde I 6 Mio. Tonnen. Herrmann sieht weiteren Forschungsbedarf darin zu schauen an welchen Standorten und in welchem Umfang Gipsdeponien in Deutschland existieren und wie diese in Nutzung gebracht werden können.
Vortrag von Dr.-ing Jörg Demmich. Bundesverband der Gipsindustrie e.V., "Perspektive der Gipsindustrie"
Der Bundesverband der Gipsindustrie bezeichnete Gips als Baustoff für die Bauwirtschaft als „unverzichtbar“. Dr.-Ing Jörg Demmich stellte die Perspektive des Bundesverbandes und die aktuellen Zahlen der Branche dar. Demnach werden in Deutschland derzeit etwa 10 Millionen Tonnen Gips im Jahr verbraucht. Davon stammten im letzten Jahr 44 Prozent aus Kohlekraftwerken, 54 Prozent aus dem Naturgipsabbau und lediglich 2 Prozent aus Recycling. Grundsätzlich gehe der Verband von einer leicht steigenden Nachfrage an Gips aus. Die Branche arbeitet auch bereits an Projekten zur Ausweitung des Recyclings. Die „REA-Gips-Lücke“ könne nur geschlossen und die steigende Kundennachfrage bedient werden, wenn alle Möglichkeiten genutzt werden. Recycling und Substitution allein reichen nicht aus, daher werde für die Rohstoffindustrie ein erhöhter Naturgipseinsatz erforderlich sein. In der Diskussion kamen auch die Zwischenlager an REA-Gips aus Kohlekraftwerken zur Sprache. Demmich sprach von etwa 11 Millionen Tonnen in den Lagern, die sich vor allem in Ostdeutschland befänden.
Vortrag von Ursula Schäfer, BUND Thüringen, "Karstlandschaft Südharz - Naturwunder im Herzen Deutschlands"
Ursula Schäfer, Projektmitarbeiterin Vernetzungsstelle Gipskarst beim BUND Thüringen sieht den europaweit einzigartigen Naturraum Gipskarst Südharz in Gefahr, wenn die Pläne der Gipsindustrie nach einem massiven Ausbau der Naturgipsförderung umgesetzt werden. Aufgrund der geologischen Situation sei die Gipskarstlandschaft nicht wiederherstellbar, da der Gips in den Erdschichten fehle. Schäfer wies darauf hin, dass sich seitdem ein „aufgeblähter Markt“ entwickelt habe, der mit billigem Gips aus Kohlekraftwerken überschwemmt wurde. Man könne jetzt nicht einfach so weiter machen und den wegfallenden Gips einfach durch den Abbau von Naturgips ersetzen. Der BUND fordert einen Ausstieg aus der Naturgipsförderung bis 2045 und die Erhebung von Umweltsteuern auf Primärrohstoffe und Deponien.
Vortrag von Holger Alwast, Alwast Consulting, "Alternativen für heute verwendete Gipsrohstoffe"
Der Abfall- und Energiewirtschaftler Holger Alwast hat in einem aktuellen Gutachten für den BUND die Gipsversorgung der Zukunft in zwei Szenarien untersucht. Die beiden Szenarien zur Entwicklung der jeweiligen Gipsmengen im Zeitraum zwischen 2019 und 2045 zeigen auf, dass eine Wende der Rohstoffstrategie für gipshaltige Baumaterialien in Deutschland sowohl im pessimistischen, besonders aber im optimistischen Szenario innerhalb der nächsten 25 Jahre möglich ist. Die Nutzung von Naturgips in Deutschland geht im pessimistischen Szenario bis zum Jahr 2045 um über zwei Drittel auf verbleibende 0,75 Mio. Mg/a zurück. Im optimistischen Szenario kann die inländische Nutzung von Naturgips bis zum Jahr 2045 sogar ganz auf null, v.a. durch die umfassende Nutzung von ökologischen Alternativen von Bauprodukten für die bisher eingesetzten Gipsbauplatten und Gipsputze, sowie durch die umfassende Verwendung von Recyclinggips und Phosphorgips, gesenkt werden.
Dr. Simon Eichhorn, Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe, "Recycling von Gips"
Beim Recycling von Gips gibt es bereits eine erste Ausgangsbasis, erläuterte Dr. Simon Eichhorn, Abteilungsleiter Gipsrecycling beim Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe (ThIWert). So gebe es in Deutschland vier Gipsrecycling-Anlagen, von denen aber nur drei in Betrieb seien. Laut Eichhorn gehen Schätzungen von etwa 50 Prozent recycelbarer Gipsabfälle aus, insbesondere Gipskartonplatten. Im Jahr 2016 wurden etwa 29.000 t RC-Gips in Gipsrecycling-Anlagen in Deutschland hergestellt. Ursachen des bisher geringen Anteils an RC-Gips seien z.B. eine zu kostengünstige Verbringung auf Mülldeponien. Das ThIWert arbeitet derzeit im WIR!-Bündnis: Gipsrecycling als Chance für den Südharz mit Partnern an Projekten um das Recycling von Gips weiter zu verbessern.
Dr. Jörg Feinhals, DMT GmbH & Co. KG, "Recycling von Phosphatgips"
Eine Alternative zum Naturgips könne der sogenannte Phosphorgips sein. Als ein Nebenprodukt der Phosphatindustrie fällt Gips dabei in großen Mengen an. Dr. Jörg Feinhals, Leiter der Projektgruppe Strahlenschutz und Entsorgung bei der DMT GmbH & Co. KG, bestätigte auf der Tagung, dass alleine die Produktion von Phosphatgips den Wegfall des REA-Gipses ersetzen könne. Rezyklierter Phosphatgips könne unter anderen für die Herstellung von Baumaterialien eingesetzt werden, z.B. als Zuschlagstoff für die Zementherstellung und als Eingangsmaterial für die Herstellung von Gipskartonplatten. Auf Grund von Verunreinigungen in den Ausgangsprodukten enthalte dieser Gips radioaktive und giftige Bestandteile und müsse vorab gereinigt werden. Dr. Jörg Feinhals erläuterte, dass vor der Nutzung von Phosphatgips die Kontrolle auf Einhaltung von Grenzwerten zur Radioaktivität stehe. Hierzu bestünde die Möglichkeit des Einsatzes von Förderband-Freimessanlagen. Eine Nachbearbeitung des aussortierten Phosphatgipses sei möglich.
Podiumsdiskussion
In einer Podiumsrunde diskutierten zur Gipsversorgung und der Herausforderung für die Bauwirtschaft Florian Knappe vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH (ifeu), Jana Ballenthien, Waldreferentin bei RobinWood, der Architekt Andreas Rieger vom Bund Deutscher Architekten (BDA) und Peter Breidenbach, Geschäftsführer bei CLAYTEC Baustoffe aus Lehm. Ein vom BUND gefordertes Moratorium für Naturgipsabbau würden Lehmbaustoffe nicht betreffen, dennoch sehe er den großflächigen Abbau von Rohstoffen als kritisch an, sagte Peter Breidenbach. Aus Gründen des Klimaschutzes, wie auch des Ressourcen- und Flächenverbrauchs erwarte der Geschäftsführer eine Änderung in der Bauwirtschaft. Es werde immer wichtiger nachhaltiger und dauerhafter zu bauen. Im Lehmbau arbeite man mit Zeithorizonten von bis zu 500 Jahren anstatt wie heute üblich mit einer Dauer von 50 Jahren.
Recycling ist ein wesentlicher Baustein für die Bauwirtschaft. Ein Moratorium würde Zeit und Druck auf die Branche ausüben, neue Wege zu gehen, meint Florian Knappe. Es gab durch den REA-Gips einen „Siegeszug“ des Gipses, weil er sehr preisgünstig war. Wenn der Preis nicht mehr dominiere, würden andere Materiellen wieder aktuell, denn in der Vergangenheit habe man auch nicht mit so viel Gips gebaut. Mineralische Bauabfälle, so Knappe, würden heute oft auf Deponien entsorgt. Durch gutes Recycling könnten diese Stoffe zukünftig jedoch genutzt werden.
Der Architekt Andreas Rieger wies auf eine gute Verfügbarkeit von Gips durch die Kohlekraftwerke hin. Das habe sich handwerklich in der Bauwirtschafts verfestigt doch durch den Kohleausstieg werde das jetzt „aufgebrochen“. In einer nachhaltigen Bauwirtschaft werde man diese enormen Mengen an Gips nicht mehr verwenden können. Es müsste Ersatz gefunden werden und wo ein Ersatz nicht möglich sei brauche es Recycling-Gips, so Rieger. Eine nachhaltige Bauwirtschaft sei nicht nur eine Frage der Branche, sondern auch die des Gesetzgebers.
Für die Umweltschützerin Jana Ballenthien müssen alle Utopien auf die Handlungsebene gehoben werden. Aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes brauche es ein Moratorium. Die Gipsindustrie müsse aufhören, Arbeitsplätze gegen Umweltschutz auszuspielen. Im Südharzer Gipskarst müsse der Schutzstatus erhöht werden, forderte Ballenthien.
In seinem Schlussstatement sprach sich Ulrich Wieland von der Bundeskontaktstelle Gesteinsabbau der GRÜNEN LIGA für ambitionierte Recyclingquoten aus. Gerade die Gipsindustrie habe auf der technischen Seite dadurch eine riesige Chance. Zudem brauche es eine bessere Zertifizierung von Baustoffen. Konflikte seien auch immer Treiber von Entwicklung, meinte Wieland. Was man nicht brauche seien gegenseitige Feindbilder: Auf der einer Seite die Umweltschützer, die alles stoppen wollen („Nein, das sind sie nicht“), auf der anderen Seite die Gipsindustrie, die alles „nur kaputtmachen“ will („Nein, das sind sie auch nicht“). Jetzt brauche man einen Diskussionsprozess zur Verschiebung von Interessenlage und man solle die aktuelle Situation als Chance begreifen.
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Diese Veranstaltung wurde als Teil eines Projektes gefördert, durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages.