Gips als billiges Nebenprodukt aus Kohlekraftwerken hat vor drei Jahrzehnten den Gipsverbrauch im Bauwesen steigen lassen. Mit dem Kohleausstieg wird schrittweise wieder weniger Gips aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen (REA) zur Verfügung stehen. wie es nach dem Kohleausstieg mit dem Naturgipsabbau weitergeht und ob es Alternativen zu einem massiven Aufschluss neuer Gipstagebaue gibt, hat das Umweltnetzwerk GRÜNE LIGA in den vergangenen zwei Jahren intensiv untersucht und mit Akteuren diskutiert. In dem 40-seitigen Bericht „Gips: Rohstoff und Lebensraum“ wurden Ergebnisse aus Interviews, Fachgesprächen, Exkursionen und zwei öffentlichen Tagungen mit den Beteiligten aus Industrie, Forschung, Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammengefasst.
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„Während der Kohleverstromung ist eine Verwendung des entstehenden Nebenproduktes Gips natürlich nötig und sinnvoll. Allerdings wurde die Nachfrage künstlich erzeugt. Die Notwendigkeit, wegfallende Mengen Gips eins zu eins durch Naturgips zu ersetzen, kann aus dem bisherigen Verbrauch also nicht abgeleitet werden“, resümiert Projektmitarbeiterin Dr. Josephine Sahner. Seit den 1980er Jahren fiel aufgrund von Gesetzesvorgaben zur Rauchgasentschwefelung in Kohlekraftwerken REA-Gips an. Dadurch hatte sich der Markt von anfangs 5 Millionen Tonnen Gips auf den heutigen Stand des Verbrauches von ca. 10 Millionen Tonnen Gips in etwa verdoppelt.
„Die Lücke jetzt durch einen verstärkten Abbau von Naturgips ersetzen zu wollen, wäre nur mit einem enormen Raubbau an der Natur zu erreichen. Massiver Gipsabbau zerstört etwa im Südharz unwiederbringlich weltweit einmalige Gipskarstlandschaften. In Bayern versiegte sogar die Quelle eines Flusses aufgrund des benachbarten Abbaus von Gips. Durch verstärktes Recycling von Gips, Nutzung von Sekundärgipsen und von Alternativbaustoffen sowie eine Änderung von Bauvorschriften muss der Bedarf an Naturgips so weit wie möglich gesenkt werden“, sagt Sahner.
Gipsabbau lässt sich nicht losgelöst von den Entwicklungen in der Bauwirtschaft diskutieren. Ob Deutschland sich zu einer nachhaltigen Bauwende bekennt, wird großen Einfluss auf den Abbau vieler mineralischen Rohstoffe haben. Die ehemalige Bundesregierung hat nach eigener Aussage keinerlei Informationen über den künftigen Bedarf an Gips, wie eine parlamentarische Anfrage im Deutschen Bundestag vom August 2020 zeigte. Der Chef des Gips-Branchenmulti Alexander Knauf erklärte sogar im Herbst 2021, man schaffe sich seine Märkte selbst, wie beispielsweise in Afrika: „Wir schulen die Menschen mit dem für sie meist neuen Baustoff Gips, wir bauen dann einen Brückenkopf, exportieren zunächst und ziehen mit der Produktion nach“, wird Knauf in einem Interview mit dem Handelsblatt zitiert.
Als einen Freibrief für einen weitere Ausweitung des Naturgipsabbaus wertet die Gipsindustrie Aussagen im Endbericht der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung („Kohlekommission“) wonach Maßnahmen zur „zusätzlichen umweltverträglichen Gewinnung von Naturgips“ gefordert wurden. Mit dem Mythos räumte die GRÜNE LIGA auf. Da die Lausitzer Tagebaubetroffenen in der Kommissionsarbeit beteiligt waren, ist dem Verband bekannt, wie die Kohlekommission den Bedarf an Gips gar nicht diskutiert hat, sondern Aussagen aus einem Papier der Gipsindustrie praktisch ungeprüft in ihren Bericht übernahm.
Das Projekt „Abbau von Naturgips in Deutschland – künftige Anforderungen aufgrund des Kohleausstieges“ wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.