Kommentar
Ältere Osterzgebirgler*innen, die vor der Aufklärung des Internetzeitalters groß geworden sind, haben ihn fürchten gelernt: den Mummum. Neben den Matzeln und den Moosmännln gehörte er zu den gefährlichsten Geschöpfen im Miriquidi. Man sollte ihn besser vertreiben, bevor er sein Unwesen treiben kann!
Seit ein paar Jahren droht wieder großes Unheil im östlichen Erzgebirge: in der Unterwelt von Zinnwald, auf den Höhen von Liebenau. Es kann kein Zufall sein, dass sich Lithium auf Mummum reimt!
Unter Zinnwald, und mehr noch unter der tschechischen Nachbargemeinde Cínovec, befindet sich ein Granitstock mit vererztem Kuppelbereich. Historischer Bergbau hat bis zu hundert Meter unter der Ortsflur den Berg ausgehöhlt wie einen Schweizer Käse. Immer wieder zeugen plötzlich aufklaffende Berglöcher – sogenannte Tagesbrüche – von der Instabilität, die der Altbergbau hinterlassen hat. So auch seit letztem Sommer auf der Hauptstraße von Zinnwald.
Jetzt geht wieder das "Berggeschrei" um. Direkt unter der "Schweizer-Käse-Schicht" wollen zwei konkurrierende Unternehmen gigantische Mengen Gestein heraussprengen: die australisch-tschechische Geomet s.r.o. von Süden her sowie eine in London gehandelte Kapitalgesellschaft namens Zinnwald Lithium Plc. auf der deutschen Seite der Grenze.
Vor einigen Jahren ging es dabei noch um zwar auch schon beängstigende, aber zumindest halbwegs realistische Dimensionen. Inzwischen jedoch haben sowohl Zinnwald Lithium als auch Geomet ihre Planziele vervielfacht. Insgesamt wollen sie rund sieben Millionen Tonnen Erz pro Jahr aus dem Granitstock herausholen. Unvorstellbare Mengen! Über 40 Jahre Betriebszeit alles auf einen Güterzug geladen, würde sich dessen Waggonkette zweimal um den Äquator winden. Alles aus der Unterwelt unter dem malerischen Bergdorf.
Ältere Osterzgebirgler*innen erinnern sich noch an die Folgen des industriellen Zinnbergbaus in Altenberg zu DDR-Zeiten. In den späten 80ern erreichte Zinnerz Altenberg eine Maximalfördermenge von einer Million Tonnen pro Jahr. Die Pingenränder brachen immer weiter nach, Ortsteile von Altenberg mussten weichen. Der vom "Roten Meer" (offiziell: "Industrielle Absetzanlage" – dort landete das taube Material) verblasene scharfkantige Staub verursachte schlimme Krankheiten.
Wozu jetzt diese neuerliche, ungeheuerlichere Gigantomanie? Weil sich sonst Investitionen hier in den Bergbau nie und nimmer rechnen würden. Der Lithiumgehalt im Zinnwalder Granitstock ist mit gerademal 0,2 % sehr gering im internationalen Vergleich. Beim weltweiten Hauptproduzenten Australien stecken 3,5 bis 3,9 % Lithium im geförderten Erz. Und der Aufwand, das hiesige Lithiummineral Zinnwaldit chemisch zu knacken, ist wesentlich größer als beim recht einfach strukturierten Spodumene (dem Ausgangsstoff für Festgesteins-Lithiumbergbau anderswo).
Aber um eine Perspektive für das Unternehmen zu wahren, muss man sich vor potentiellen Investor*innen groß aufplustern. Rund ein Dutzend Lithiumvorhaben behaupten von sich, die größten Europas zu sein. Bei 0,2 % Lithiumgehalt geht das in Zinnwald nur über schiere Masse.
Die "Schweizer-Käse-Schicht" unter Zinnwald und Cínovec würde den Großkammersprengungen untendrunter höchstwahrscheinlich nicht standhalten und der Ort obendrüber kollabieren. Zinnwald Lithium hingegen begründet die Standfestigkeit nach wie vor mit Sprenggutachten von 2018/19, die noch von einem Bruchteil der heute geplanten Abbaumengen ausgingen.
Hinzu kämen eine 35 bis 50 Hektar große Chemiefabrik auf der Liebenauer Höhe – einem wichtigen Zugvogelrastgebiet in einem der wichtigsten Zugvogelkorridore Mitteleuropas. Unmittelbar daneben eine gigantische Abraumhalde als Trockendeponie. Deren teilweise toxischen Stäube würden weit über die Landschaft verfrachtet, bis zur nahegelegenen Trinkwassertalsperre Gottleuba. Deren Einzugsgebiet grenzt an die Chemiefabrik, die Sickerwässer der Halde würden wertvolle naturnahe Fließgewässer (Trebnitz, Seidewitz) mit giftigen Schlämmen überlasten. Haben wir alles schon mal bei Zinnerz Altenberg leidvoll erleben müssen!
Doch es zeigt sich immer deutlicher, dass die regionalen Ressourcen für so viel Größenwahn gar nicht reichen. Wenn man die verwirrenden Angaben von Zinnwald Lithium zu seinem geplanten Wasserverbrauch entschlüsselt und zusammenrechnet, zeigt sich: Das Unternehmen will mit einem Zehntel des Wasserverbrauchs von Zinnerz Altenberg (bezogen auf die Erzfördermengen) auskommen. Und damals brauchte man weder Wasser für den Versatz untertage (man ließ ja einfach die Pingenränder nachbrechen) noch für eine große Chemiefabrik.
So riesig die Abraumhalde auf der Liebenauer Höhe auch geplant sein mag – sie wird nur für etwa ein Drittel der Betriebslaufzeit reichen. Was wir zuvor schon mit einfacher Geometrie herausgefunden hatten, bestätigte Ende März diesen Jahres die Vormachbarkeitsstudie von Zinnwald Lithium. Platz ist knapp in der von einem dichten NATURA-2000-Mosaik wertgeschätzten Landschaft des Osterzgebirges.
Lithiumextraktion braucht nicht nur Wasser und Raum, sondern auch große Mengen Energie. Zinnwald Lithium will die Prozesse mit Erdgas befeuern. Wie viel davon nötig ist, darüber verbreitet das Unternehmen weit differierende Angaben. Geomet auf der tschechischen Seite hat die Planungen für die Aufbereitungschemie inzwischen ins Nordböhmische Becken verlagert, neben ein großes Braunkohlekraftwerk. Als künftigen Ersatz für diese CO2-Schleuder plant der Energieversorger ČEZ, der zur Hälfte auch an Geomet beteiligt ist, in unmittelbarer Nähe der Lithiumfabrik ein Atomkraftwerk.
Zinnwald Lithium hat 2025 seine Strategie geändert. Zuvor verweigerte die Firma Daten und Informationen in schriftlicher Form, die man hätte kritisch prüfen können. Nun aber ließ Zinnwald Lithium eine wahre Flut an Unterlagen über die Betroffenen niederprasseln: Scoping Liebenau, Vormachbarkeitsstudie, Raumverträglichkeitsprüfung, Hauptbetriebsplan Explorationsstolln, Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung... Insgesamt galt es 70 PDF-Dokumente mit zusammen rund 1.500 Seiten Text, Tabellen und Karten gründlich zu lesen und auf den Prüfstand zu stellen.
Dabei offenbarten diese Unterlagen immer wieder, dass sie von Fremdfirmen ohne jegliche Lokalkenntnis zusammengeschustert wurden. Snowden Optiro, die die Vormachbarkeitsstudie zu verantworten haben, sitzen Australien. Und ERM (Environmental Ressources Management) ist ein großes britisch-multinationales Unternehmen, das sich immer wieder einen Namen mit Greenwashing von großen Erdölprojekten macht (z.B. Keystone XL-Pipeline oder Exxon-Ölfelder vor Guyana).
ERM hat die Dokumente für die aktuell laufende Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie erstellt. Offensichtlich nicht mit besonders großer Hingabe. Diese Dokumente sind der Gipfel der Absurdität. Fabriziert hat sie mit ziemlicher Sicherheit eine kaum trainierte, englischsprachige KI. Die Ergebnisse sind so absurd, dass man über weite Strecken ein Kabarett-Drehbuch zu lesen glaubt. Auf eine entsprechende Pressemitteilung der Bürgerinitiativen musste Zinnwald Lithium tatsächlich öffentlich Fehler einräumen – ein absolutes Novum!
All diese Dinge legen nahe, dass Zinnwald Lithium finanziell auf dem letzten Loch pfeift. Die Aktie liegt seit langem weit unter Ausgabewert und im vergangenen Sommer musste die Firma sogar ein "Fundraising" veranstalten, um liquide zu bleiben. Dabei will sie für ihr Bergbauvorhaben eine Milliarde (!) Euro investieren!
Ein Bergwerk ist ein Loch im Boden, der Besitzer ein Lügner, der Aktien herausgibt, um damit Narren zu fangen.
Dieses Mark Twain zugeschriebene Zitat scheint heute so aktuell zu sein wie im 19. Jahrhundert. Dennoch fallen immer wieder Narren darauf herein. Das einzige, was Zinnwald Lithium perfekt beherrscht, ist PR. Zielsicher stoßen sie in die vorherrschenden Narrative der politischen Debatte. Zunächst hieß die Zielrichtung "Energiewende", was besonders den Nerv realo-grüner (und naiv-grüner) Kreise traf. Hinzu kamen "Versorgungssicherheit" und "Zukunftstechnologien". Innerhalb eines Jahres nun ist "Verteidigungsfähigkeit" in den Vordergrund gerückt. "Energiewende" hört man kaum noch in der Argumentation.
"Wirtschaftlichkeit" oder gar "Umweltverträglichkeit" hingegen scheinen allenfalls eine sehr untergeordnete Rolle zu spielen. Hier herrscht der unverbrüchliche Glaube, dass in Deutschland ja viel höhere Standards herrschen würden als in anderen Ländern – was zumindest im europäischen Vergleich überhaupt nicht stimmt, wie wir inzwischen wissen. Beim Bergrecht ist eher das Gegenteil der Fall.
So bleibt es die undankbare Aufgabe der Bürgerinitiativen und der GRÜNEN LIGA, dem Dokumentenwust von Zinnwald Lithium gründliche Realitäts-Checks gegenüber zu stellen und zu versuchen, die daraus resultierenden Botschaften in die Öffentlichkeit zu tragen. Es gibt in der Region vier Bürgerinitiativen (Bärenstein, Liebenau, Zinnwald und Cínovec), die sich im Verein "Natürlich!Osterzgebirge" zusammengeschlossen haben, welcher wiederum im Netzwerk der GRÜNEN LIGA mitarbeitet.
Ungeachtet der Tatsache, dass die übergroß aufgeblasenen Bergbauvorhaben im Osterzgebirge in diesen Dimensionen nie und nimmer irgendwie "umweltverträglich" umgesetzt werden könnten, sollte die Auseinandersetzung damit auch dazu führen, grundsätzlich über unseren Ressourcenverbrauch nachzudenken. Den einen Überverbrauch (fossile Energierohstoffe) schlicht durch einen anderen Überverbrauch ("Energiewende"-Rohstoffe) zu ersetzen, kann nicht die Lösung für die Probleme dieser Erde sein!
Es geht um unseren "ökologischen Fußabdruck". Aber mindestens so sehr auch um unseren "ökologischen Handabdruck": öffentlich aktiv werden für Natur und Umwelt. Bezogen auf die großindustriellen Bergbaupläne passt dazu die alte Weisheit: "Viele Hände, schnelles Ende". Lasst uns gemeinsam diesen Mummenschanz um 0,2% Lithium beenden! Lasst uns den Lithium-Mummum aus dem Miriquidi verscheuchen, bevor er hier wirklich sein Unwesen zu treiben beginnt!
Jens Weber
