Veranstaltung zu zweijährigem Gipsprojekt im Bürgerhaus Nordhausen endet mit Paukenschlag: Gipsindustrie strebt Probebohrungen in Naturschutzgebieten an

gipsdiskussion nordhausen

Die Abschlussveranstaltung „Gips – Rohstoff und Lebensraum“ des Umweltnetzwerkes GRÜNE LIGA in Kooperation mit dem BUND Thüringen im Bürgerhaus Nordhausen (Thüringen) endete am Dienstagabend mit einem Paukenschlag. Die Gipsindustrie arbeitet daran, hinter dem Rücken der Öffentlichkeit die Genehmigung zu Probebohrungen für neue Gipsabbaugebiete inmitten von Naturschutzgebieten des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz durch das SPD-geführte Umweltministerium des Landes Sachsen-Anhalt zu erhalten. Entsprechende Vermutungen wurden bereits im Online-Chat der Hybridtagung geäußert. Am Ende der Veranstaltung erklärte Dr. Friedhart Knolle als Vertreter des Verbands der deutschen Höhlen- und Karstforscher e.V.: „Die Vermutungen können leider bestätigt werden. Wir können nur dringend raten, sich frühzeitig dagegen zu wehren“. Die Probebohrungen sollen im Naturschutzgebiet Questenberg NSG0166 und im FFH-Gebiet 0101 genehmigt werden. Die geschützten Flächen liegen inmitten des weltweit einzigen Biosphärenreservates auf Gipskarst.

Zuvor hatten in der Veranstaltung die Architektin Judith Ottich und der grüne Bundestagsabgeordnete Bernhard Herrmann bekräftigt, dass die Antwort auf die Gipsproblematik und den hohen derzeitigen Bedarf nur eine Wende im Bau sein kann: „Ohne Bauwende keine Ressourcenwende, keine Energiewende und keine Klimawende“, so Ottich. Bernhard Herrmann, Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Bundestages, bekräftigte die Anstrengungen des Bundes für eine Bauwende und ein besseres Recycling bei Baustoffen: „Es braucht mehr Ressourcenschonung in der Bau- und Immobilienwirtschaft“. Herrmann kündigte an, dass die Bundesregierung einen Ressourcenpass einführen wolle. Damit könne man den gesamten Lebenszyklus von Baumaterialien nachvollziehen. Das sei auch im Sinne des Green Deals der EU.

Weitere Referent*innen sprachen sich für den seit Jahrzehnten überfälligen Schutz der Gipskarstlandschaft aus. So Dr. Olaf von Drachenfels, Bereichsleiter Biotopschutz vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Er wies in seiner naturschutzfachlichen Einschätzung des Gipsabbaus darauf hin, dass die Landschaft durch die spezifische Hydrologie und Morphologie des Gipskarstes gekennzeichnet sind. Diese seltene naturräumliche Besonderheit einschließlich der Geotope und des einzigartigen Landschaftsbildes werde durch den Gipsabbau „irreversibel zerstört“. Viele Lebensraumtypen des Gipskarstes könnten nicht oder in nur extrem weiten Zeitspannen von mehreren Jahrhunderten unvollständig wieder entstehen. Ursula Schäfer beschrieb die bereits heute eingetretene Zerstörung des Naturraums der einzigartigen Gipskarstlandschaft und die vielen existierenden Ersatzstoffe insbesondere bei Bauplatten. Dr. Friedhart Knolle wies ausdrücklich darauf hin, dass jetzt ein Punkt erreicht sei, an dem man um jeden Quadratmeter Gipskarst kämpfen müsse.Questenberg

An der Veranstaltung nahmen über 80 Personen teil, um die Ergebnisse aus zwei Jahren Austausch der GRÜNEN LIGA mit Expert*innen verschiedenster Fachgebiete zum Bereich Gips zu erfahren.

In Deutschland werden derzeit etwa 10 Mio. Tonnen Gips im Jahr verbraucht. Davon stammten etwa 54 Prozent aus Kohlekraftwerken, 44 Prozent aus Naturgipsabbau und lediglich 2 Prozent aus Recycling. Umweltschützer*innen kritisieren schon länger, dass in Deutschland Gipsabfälle– im Gegensatz zu anderen Ländern – auf Mülldeponien im In- und Ausland landen. Die Schlussdiskussion wurde überschattet durch die Bestätigung des Gerüchtes über die Probebohrungen in Naturschutzgebieten bei Questenberg (Ortsteil der Gemeinde Südharz im sachsen-anhaltischen Landkreis Mansfeld-Südharz). Ein Kreistagsmitglied im Publikum zeigte sich erschüttert, dass darüber noch nicht einmal die Lokalpolitik informiert wurde, trotz Anfragen.

Mit dem vom Bundestag beschlossenen Kohleausstieg fällt langfristig REA-Gips als Nebenprodukt der Kohlekraftwerke weg. Dies erhöht aktuell den Druck auf den Naturgipsabbau in Deutschland, insbesondere auf die weltweit einmalige Gipskarstlandschaft im Südharz. „Es gibt aber viele Substitute und Baualternativen zum Naturgips. Der Suffizienzgedanke muss in Zukunft im Vordergrund stehen, gerade im Bausektor und beim Ressourcenabbau mit ihren hohen Treibhausgasemissionen und Energiebedarf. Der Einsatz von Alternativen zu Gips, wie Recycling-Gipse und Sekundärgipse ist unbedingt nötig, um den Naturgipsabbau eben nicht massiv auszuweiten und wertvolle Lebensräume zu erhalten“, sagte die GRÜNE LIGA- Projektmitarbeiterin Dr. Josephine Sahner.

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Präsentationen der Veranstaltung